Zuerst wurde viel geredet, aber plötzlich antwortet niemand mehr gerne auf Fragen…

… Ein Fotograf schlägt mit einer kleinen Edelstahlpfanne Stahlnägel in die Wand, während andernorts eine Putzfrau beschließt, das Quietschen ihres Putz-Wägelchens zu mögen. Draußen schneit es ohne Ende. Um seinen Standpunkt zu unterstreichen, beißt ein Warboy einem andern ins Gesicht. Für manch eine ist nett das Gegenteil von sympathisch, ein anderer fragt sich wiederum, wieso er Schimmel neuerdings persönlich nimmt. Vielleicht ist es doch eine Überlegung wert, den Gebrauch wahrer Sätze zu rationieren? – Ladies & Gents: Es ist ein Buch!

Christoph Strolz, Wenn ich blinzle wird es besser

 

Kill your Darlings [6]

Viel unangenehmer ist es, wenn sie meint, mich loben zu müssen. Ihre Stimme bleibt dann in behäbiger Selbstzufriedenheit in ihrer angestammten Tonlage sitzen, und es kommt mir so vor, als würde ich einfach einer willkürlichen Laune ausgesetzt werden und etwas abbekommen, das mit mir in keinerlei Verbindung steht. Schlimmer ist nur noch, wenn sie wieder mit ihrem Haubenkoch anfängt. Es liegt dann fast schon etwas Liebliches in ihrer ansonsten herben Stimme. Und in ihren Augen liegt eine perverse Art von Verzückung, die mich anekelt, genauso wie eine abgründige Traurigkeit, die ein klebriges Mitgefühl in mir hochsteigen lässt.

12 Dinge

Es gibt zwölf Dinge, die ich nicht beherrsche. Ich werde sechs nun einfach aufzählen:

(1) Rechschreibung

(2) Germknödel machen.

(3) Nicht ständig irgendwelche Sachen verlieren.

(4) Mit fremden Leuten in Kontakt treten.

(5) Mit Leuten, die ich kenne in Kontakt bleiben.

(6) Früh schlafen gehen.

Die Dinge sieben bis zwölf will ich nicht verraten. Um Dich hinsichtlich dieser Dinge aber nicht vollkommen im Dunkeln tappen zu lassen zumindest so viel:

Zusammen mit den eben genannten Dingen zeichnen sie ein durchaus kohärentes, wenn auch wenig schmeichelhaftes Bild von mir.

Am Gehsteig

Sie hat zerbrechliche, eher ungeschickt und fahrig wirkende Hände. Insofern erstaunt es mich, wie geschickt sie in der Kälte und mit einer einzigen, fließenden Bewegung das Zellophan von der Zigarettenpackung entfernt. Sie steckt sich eine Zigarette an und ihre Augen, glaube ich im fahlen Licht der Straßenbeleuchtung zu erkennen, sind groß und schön, oder auch nur stark geschminkt. Sie steht da und raucht, so scheint es zumindest, nicht wie ich nur um eine außer Kontrolle geratene Sucht zu befriedigen. Man hat, wenn sie so das Kinn nach oben reckt und den Rauch gen Himmel bläst, vielmehr den Eindruck, dass sie nur einem diffusen Unwillen via Rauchzeichen Luft machen will. Ich nehme einen tiefen Zug und höre mich „Ich rauche eigentlich gar nicht mehr“ sagen. Sie schaut mich kaum an, murmelt etwas, reiht scheinbar wahllos ein paar Zischlaute aneinander. Ihr rechtes Auge ist ein wenig geschwollen. Der rote Abdruck an ihrem Zigarettenfilter ist kein Lippenstift, sondern Blut. Dann geht sie, schnippt davor noch den Zigarettenstummel halbherzig in meine Richtung. Sie hinkt ein wenig und ich schau ihr nach, sehe wie sie nach gut zehn Metern, noch einmal kurz stehen bleibt, um sich eine weitere Zigarette anzustecken. Und sie braucht, nach Hause humpelnd, fast die ganze Gehsteigbreite. Die man ihr ohnehin ganz zur Verfügung gestellt hat. Die ihr um diese Uhrzeit ohnehin ganz gehört.

Island

Der Himmel besteht aus ausgesprochen plastischen Wolken. Fast immer besteht der Himmel hier aus ausgesprochen plastischen Wolken, außer wenn er blau ist, und fast immer ist es windig, außer wenn es stürmt. Ich stehe am Straßenrand und schaue Richtung Osten. Das schwarze Lavafeld vor mir ist längst nicht mehr schwarz, sondern mit grellgrünem Moos bedeckt. Es beruhigt mich irgendwie, dass das Gras auf den Hügeln links am Horizont wenigstens grasgrün ist und nicht orange oder schwefelfarben. Seit wir unterwegs sind und jedes Mal wenn wir an irgendeiner Straßenausbuchtung stehen bleiben, mache ich ein Foto. Und beim Weißabgleich orientiere ich mich ausschließlich an den Wolken. Und immer kontrolliere ich sofort die Bildschärfe. So als könnte mir die Schärfe meiner Bilder irgendeinen Halt geben, halte ich mich gleichsam an der entweder zweifelsfrei vorhandenen, oder nicht vorhandenen Schärfe des gemachten Bildes fest. Und bevor wir wieder losfahren, umkreise ich immer zweimal das Auto. Und immer trete ich zweimal an alle vier Reife und werfe nur deshalb nie einen Blick unter die Motorhaube, weil ich einen vollkommen unauffällig aussehenden Motorblock ohnehin nicht von einem völlig desolaten unterscheiden kann. Und wenn K. den Zündschlüssel umgedreht, beuge ich mich zu ihr und beobachte die Tankuhrnadel. Ich sehe ihr mit wachsender Erleichterung dabei zu, wie sie sich deutlich nach rechts bewegt und gebe K., nur um meinem Hinüberbeugen ein wenig mehr Sinn abzutrotzen, einen Kuss. Und dann fahren wir weiter und der Abstand zwischen den weißen Leitposten am Straßenrand, lese ich am Handy, beträgt in Deutschland 50 Meter. Der Abstand zwischen den weißen Leitposten am Straßenrand in Österreich, lese ich am Handy, beträgt 33 Meter und an jedem Pfosten ist vorne ein viereckiger roter Reflektor und hinten ein viereckiger weißer Reflektor montiert. Die gelben Leitposten Islands haben gar keine Reflektoren. Der Zugang zu mobilen Daten selbst in den entlegensten Gegenden der Insel ist hingegen vorbildlich. Es ist schon spät, doch es wird nicht wirklich dunkel. Und das nichtschwarze Lavafeld nimmt kein Ende, wird nur manchmal von schwarzen Lavafeldern durchbrochen die durch das Gelbgrün mäandern, zum Meer hin, wie die Straße und wie wir.  Und es ist schwer zu sagen wie weit es noch ist bis zum Horizont, bis zur nächsten sanften Geländekuppe. Denn wie groß der Abstand zwischen den gelben Leitposten Islands sein muss, das weiß selbst das Internet nicht.